Canto Ro´ von Etta Scollo oder die Entdeckung des sizilianischen Fado
Wer nicht glaubt, dass Sizilianer jodeln können wird auf der neuen CD der Sängerin Etta Scollo eines Besseren belehrt. Da schleift die junge Entdeckung aus Catania, mit ihrer Stimme durch die Oktaven, übt sich in der Kunst des Belcanto, haucht ihre Töne oder schreit ihre Qual heraus. Wenn man die DVD ihrer Scheibe „Canta Ro’“ sieht, begreift man dass diese junge Frau das Singen als existentielle Ausdrucksform betrachtet in der man seine Gefühle zu Klang werden lassen kann. Wenn sie singt, singt und tanzt sie mit ihrem ganzen Körper, jeder Muskel ihres Halses und Kehlkopfs scheint unter einer Hochspannung zu stehen die sich erst mit dem ersten Ton löst. Schon als Schülerin schrieb sie erste Lieder, mit 18 verließ sie Sizilien um in Turin Kunst zu studieren. Sie brach dieses Studium ab, ihre Ehe scheiterte nach einem Jahr. Alles schien zu Ende.
Doch dann folgt eine beispiellose Odyssee durch die Genres, eine mutige Suche nach dem eigenen musikalischen Weg. Es ist daher auch kein Wunder dass Kritikerin ihr das Prädikat „Tänzerin auf dem Seidenfaden“ verliehen.
Ob klassischer Gesang am Wiener Konservatorium, Zusammenarbeit mit bekannten Bluesmusikern wie Sunnyland Slim, Beatles-Coverversionen oder Filmmusiken, nichts war vor ihrer gefühlsbeladenen dunklen Stimme sicher. In ihren ersten Alben, die in Deutschland ihrem neuen Wohnsitz entstanden, wagte sie sich auf den schmalen Grat zwischen Pop, Jazz und Liedermacherkunst. Dabei spielten die selbst gedichteten melancholischen Song-Texte eine entscheidende Rolle. Da ist die Rede von Worten in der Leere der Welt, vom Wind der Haare und Gedanken verwirrt und von den Tätowierungen der Seele. Ihre Musik konzentrierte sich auf die emotionale Aussage, nur selten ergriff Scollo das politische Wort wie etwa im Lied „Villa Grimaldi“, das den Opfern der chilenischen Militärdiktatur gewidmet ist.
Mit ihrem letztjährigen Album Canta Ro’ scheint eine neue Ära im Schaffen der Scollo begonnen zu haben. Hier begibt sie sich auf die Suche nach ihren musikalischen Wurzeln. Hier beginnt sie der der sizilianischen Volksmusik eine Seele einzuhauchen. Zentriert hat sie dieses Projekt um die vergessene Volkssängerin Rosa Balistreri, die 1990 verstarb und mit ihrem erstickten Gesang in den 60er und 70er Jahren zu einer Ikone des sizilianischen Volksgesangs wurde. Ihr emotional zerrissener Gesang, kämpferisch und voller Dramatik gab der Armut und dem Leid, der Geschichte Siziliens eine Stimme die man nicht vergessen konnte. An diesem Ideal orientiert sich Etta Scollo hörbar, die mit 14 Jahren erstmals die faszinierende Stimme der Balistreri auf einer Kassette für sich entdeckte. Die CD, die bereits für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik 2005 und den RUTH-Folkpreis vorgeschlagen war wurde mit dem Orchestra Sinfonica Siciliana unter der Leitung von Angelo Faja realisiert. Es ist ein beeindruckendes Beispiel für Kontinuität im Bereich traditioneller Musik. Was wir hier hören sind die altertümlichen carritteras, Lieder der Fuhrleute auf ihrem Karren, der Mandel- und Zitronenpflücker oder die cialomis (Lieder, die die Thunfischer einst sangen um ihre Beute anzulocken). Und es sind die von einer Maultrommel begleiteten Lieder, die einfühlsamen Wiegenlieder, die vor 80 Jahren vom Ethnographen Favara gesammelt und über Rosa Balistreri an Etta Scollo weitergegeben wurden. Somit erklingen die Volklieder hier in dritter Generation und erwachen auf dieser großartigen CD zu neuem Leben. Und es ist erstaunlich wie sich das große Sinfonieorchester und die große Stimme von Etta Scollo hier zu einer atmosphärischen Einheit verdichten. Das liegt wohl vor allem an den sensiblen Arrangements, die den Geist der sizilianischen Volksmusik nicht oberflächlichen Klangeffekten opfern. Überhaupt scheint Natürlichkeit und Authentizität das Ideal dieser Produktion gewesen zu sein. Selbst die Atmosphäre einer sizilianischen Sommernacht mit ihren Geräuschen, dem Rauschen der Blätter, mit den Grillen, Rufen der Markthändler und den Beifallsstürmen wird eingefangen und zieht einen noch mehr in den Sog dieser Musik.
Alle Lieder werden auf sizilianisch gesungen. Etta Scollo beweist ihr Gespür für die emotionale Farbe jedes dieser Lieder. In „U cunigghiu“ in dem das Kaninchen zum Symbol erotischer Anziehungskraft wird, bewahrt sie den ironischen Spott ihrer Vorlage und beweist auf atemberaubende Weise sizilianische Zungenfertigkeit. In „Quannu moru“ (Wenn ich sterbe) dem musikalischen Vermächtnis von Rosa Balistreri windet sich ihre Stimme gedeckt, schmerzbeladen und dunkel aus den Holzbläsertiefen des Orchesters empor. Andere Lieder wiederrum erinnern mit ihren tänzerischen Tarantellas an die Musik zu einem Fellini-Film. Der expressive Höhepunkt der CD ist das Lied „I pirati a Palermu“ (Die Piraten von Palermo) dem wohl eindrucksvollsten Beispiel für Scollos expressive Gestaltungskraft. Der Schmerz angesichts der osmanischen Besetzung Siziliens wird hier über einem pulsierenden Dreiertakt in langgezogenen Kantilenen zu einer universellen Anklage gegen Unrecht und Unterdrückung. Hier wird ihr Gesang rauh, gepresst, vibriert und es entwickelt sich eine stilisierte Klage, die man wohl am ehesten als sizilianischem Fado beschreiben kann.
Die Piraten in Palermo
Die Schiffe kamen an Viele Schiffe in Palermo Die Piraten stiegen an Land Mit Gesichtern aus der Hölle Die Sonne, die Sonne raubten sie uns Wir blieben in Dunkelheit, so dunkel, Sizilien. Das ganze Gold der Orangen Haben die Piraten gestohlen, die Felder ließen sie karg und voller Nebel zurück die Sonne, die Sonne raubten sie uns wir blieben in Dunkelheit, so dunkel, Sizilien Sie raubten die Farben des Meeres Was für ein Elend! Die Fische sind irre geworden, wie sie klagten. Sie raubten uns die Sonne, die Sonne Wir blieben in Dunkelheit, so dunkel Sizilien Sie haben unseren Frauen Das Licht und das Feuer Aus den Augen gerissen Welches die Spiegel erstrahlen ließen. Sie raubten uns die Sonne, die Sonne Wir blieben in Dunkelheit, so dunkel Sizilien weint. Nach dem großen Erfolg ihres ersten liebevoll gestalteten Sizilien-Albums hat Etta Scollo jetzt das gleiche Album unter dem Titel „Canta Ro’ in Trio“ erneut vorgelegt. Allerdings handelt es sich dabei um neue Arrangements und sieben neue Lieder, die sowohl in Gibellina/Sizilien als auch in Berlin live aufgenommen wurden. Diese CD bemüht sich um kammermusikalische Initimität und wirft somit ein neues Licht auf die Lieder, die man zum Teil kaum wieder erkennt. Die kleine Besetzung erlaubt Etta Scollo sich noch mehr zu entfalten, die Improvisation, das Spiel mit der Stimme noch stärker in den Vordergrund zu stellen. Die Arrangements entsprechen wohl eher dem von Mitteleuropäern erwarteten „italienischen Klang“ mit Mandoline, Akkordeon, Flöte und Rahmentrommel. Und doch gewinnen die Aufnahmen durch Scollos Faible für ungewöhnliche Instrumente eine besondere, fast exzentrische Klangfarbe. Singende Sägen und Muschelhörner, Tubas und indisches Harmonium sorgen für klangliche und atmosphärische Akzente. Es wurde hörbar viel Zeit darauf verwendet die Instrumente der Klangfarbe des Gesanges anzupassen. So etwa am Beginn des „Quannu moru“, das von einem Wasserglas eingeleitet wird. Mit dieser intimen Live-CD fühlt man sich der Gesangskunst von Etta Scollo, dem musikalischen Puls von Sizilien noch näher. Mit dieser Silberscheibe, versehen mit einem ästhetisch anspruchsvollen Booklet, öffnet Etta Scollo nicht nur die Tür zum musikalischen Mikrokosmos einer Insel zwischen den Kulturen, sie schickt sich auch an, sich und ihren Gesang unvergesslich zu machen.Die CD ist bei Premium Records/Soulfood Music erschienen und kostet ca. 18 Euro.
(EP)