15 Feb, 2009
Parallelen und Paradoxien. Über Musik und Gesellschaft.
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Daniel Barenboim und Edward W. Said
Parallelen und Paradoxien. Über Musik und Gesellschaft.
Hrsg. v. Ara Guzelimian. Berlin Verlag. 2004. 249 S.
Von Rezensionen |
rezensiert von CHRISTINA FELLENBERG
Angesichts der Heftigkeit des Konflikts zwischen Israeli und Palästinensern scheint ein Dialog zwischen beiden Seiten mitunter unmöglich. Hier finden sich zwei befreundete Gesprächspartner zusammen: Der einflussreiche Literatur- und Kulturkritiker Edward Said († 2003) war durch Arbeiten zum Orientalism in den 70er Jahren bekannt geworden. Daniel Barenboim ist renommierter Pianist, Dirigent und Publizist. Neben der Leidenschaft für Musik verbindet die beiden ihr ähnlicher Lebensweg, der von häufigen Ortswechseln und der Prägung durch verschiedene Kulturen gekennzeichnet ist, was ihre Offenheit zum Dialog und ihre Idee einer entlokalisierten, in ständigem Wandel begriffenen Identität maßgeblich beeinflusst hat.
Die beiden setzten sich stark für eine Annäherung der verfeindeten Lager im Nahostkonflikt ein. Mit dem 1999 gegründeten West-Eastern Divan Orchestra organisierten sie gemeinsame Konzerte mit jüdischen und arabischen Musikern. Für ihre Verdienste um die israelisch-palästinensische Aussöhnung wurden Daniel Barenboim und Edward Said zahlreiche Friedenspreise verliehen.
Inhaltlich kreisen die Dialoge um konkret Musikalisches, aber auch um Identität, Interkulturalität, um den angemessenen Umgang mit der Vergangenheit und die Erziehung zur Toleranz. Was das Buch ausmacht, ist, dass jeweils von der Musik ausgehend, der Bezug zum größeren gesellschaftlichen Kontext hergestellt wird.
Die beiden sprechen z.B. über die Flüchtigkeit des Klangs, den Ereignischarakter der Aufführung im Gegensatz zur Erinnerung daran und zur Reproduzierbarkeit durch die Aufnahme. Daneben diskutieren sie die großen europäischen Komponisten und deren Werke, allen voran Beethoven. Ihr Gespräch über Musik bleibt jedoch letztlich auf den Bereich der europäischen Kunstmusik (mit den Besonderheiten der deutschen Geistesgeschichte) begrenzt, was einen Musikbegriff impliziert, der ausschließlich abendländische Kunstmusik umfasst, Musik im Singular versteht und eher unkritisch von der Musik als universaler Sprache ausgeht.
Ein häufig wiederkehrendes, anregendes Thema ist der Umgang mit Differenz – besonders die Frage nach der (Un-)Vereinbarkeit, nach dem Hinnehmen des Unauflöslichen, aber auch nach dem Widerstand im musikalischen wie im kulturellen Kontext. Der Musik kommen dabei im Wesentlichen zwei Funktionen zu.
Die Dialoge werden durch zwei aufschlussreiche Artikel von Barenboim und Said ergänzt, in denen das Wagner-Tabu in Israel und das Verhältnis zwischen Juden, Deutschen und der Musik thematisiert werden. Daneben werden Nationalismus und Patriotismus, die Beziehung zum Heimatland, die Integration des Fremden und Reinheitsdiskurse einer kritischen Betrachtung unterzogen.
Die Besonderheit der Dialoge liegt im subjektiven Zugang (durch den biographischen Hintergrund der Autoren), im Mut einiger Fragestellungen und in der gedanklichen Transparenz, die es dem Leser ermöglicht, wesentliche musikalische und kulturelle Prozesse nachzuvollziehen und zu hinterfragen.
Englischer Titel: Daniel Barenboim und Edward W. Said // Parallels and Paradoxes. Explorations in Music and Society. // Ed. and w. a preface by Ara Guzelimian. Bloomsbury Publishing. 2004. 186 S.